Ambulante Versorgung: Weg von der „German Angst“ hin zu Vielfalt und Offenheit
Bundesverband Managed Care diskutierte im Rahmen der Fachtagung aktuelle Versorgungsfragen
Mit dem Begriff der „German Angst“ wird im Ausland die typisch deutsche Zögerlichkeit bezeichnet, wenn es um Veränderungen oder Krisensituationen
geht. Diese diffuse Zukunftsangst ist das Gegenteil von Reformfreude: Man zieht sich auf das Althergebrachte zurück und malt vorsorglich schon einmal den Teufel an die Wand. Nicht selten führt das zu einer gewissen Handlungsträgheit oder Blockadehaltung.
Als aktuelles Beispiel mag die Diskussion um die Sicherstellung der ambulanten Versorgung dienen, die u. a. Thema einer Fachtagung des Bundesverbandes Managed Care (BMC) mit dem Titel „Ambulante Versorgung: Vom Arztnetz bis zum großen MVZ nach dem GKV-VSG“ am 22.04.2015 in Berlin war. Dort verwies Dr. Ulrich Orlowski, Ministerialdirigent im Bundesministerium für Gesundheit, darauf, dass der weit überwiegende Teil der ambulanten Versorgung derzeit von Ärzten in Einzel- und Gemeinschaftspraxen erbracht werde und diese somit auch weiterhin im Hauptfokus der Politik stehen werden. Doch angesichts des demografischen Wandels und des Durchschnittsalters der aktuell selbstständigen Ärzte wissen wir, dass die Sicherstellung der Versorgung in einigen Regionen nach diesem Muster zukünftig schwer zu bewerkstelligen sein wird. Hinzu kommt, dass viele junge Mediziner von der seit Jahren kolportierten Behauptung abgeschreckt werden, eine Arztpraxis sei ohne wöchentliches Arbeitspensum von mindestens 60 Stunden nicht wirtschaftlich zu führen.
Wir müssen von der Versorgung her denken
Auf dem Weg zu einer guten Lösung für diese Herausforderungen gilt es nun, irrationale Ängste der Beteiligten abzubauen und den Blick für die Möglichkeiten zu öffnen, die bereits heute zur Verfügung stehen. Dazu gehört beispielsweise, wie Dr. Andreas Köhler, Ehrenpräsident des SpiFa, und Dr. Bernd Köppl, Vorstandsvorsitzender des Bundesverbandes MVZ, konstatierten, die junge Medizinergeneration zur Niederlassung zu ermutigen, ohne das Schreckensszenario des hoch verschuldeten und rund um die Uhr im Einsatz befindlichen Arztes heraufzubeschwören. Andererseits dürfe der Trend junger Ärzte zur Anstellung nicht „verteufelt“ werden, wie Köhler sich ausdrückte. Vielmehr gehe es darum, diese Entwicklung wahrzunehmen, zu akzeptieren und daraus eine sinnvolle Versorgungslösung zu gestalten.
Den Befürchtungen vieler Niedergelassener, dass Krankenhäuser sich durch Ermächtigungen, Institutsambulanzen und Krankenhaus-MVZ ein zu großes Stück des Vergütungskuchens abschneiden wollen, setzte Dr. Monika Schliffke, Vorstandsvorsitzende der KV Schleswig-Holstein, entgegen, dass es nicht darum gehen dürfe, in Sektoren und Budgets zu denken, sondern von den Versorgungserfordernissen her, die stets nur regional und im Einzelfall zu beurteilen sind.
Lösung liegt in der Vielfalt der Angebotsstrukturen
Eine Antwort auf die Sicherstellungsfrage sieht Dr. Ursula Hahn, Geschäftsführerin der OcuNet Gruppe, auch in sogenannten Ambulanten Versorgungsunternehmen (AVU), deren Stärkung eine Projektgruppe im BMC voranbringen möchte. Zu solchen AVU gehören etwa große MVZ, Arztnetze, überörtliche Berufsausübungsgemeinschaften, Praxiskliniken und weitere ambulante Kooperationsformen. Angesiedelt zwischen einzelner Arztpraxis und Krankenhaus bieten sie Lösungen für aktuelle Versorgungsherausforderungen. Sie können beispielsweise durch Filialisierung oder multiple Standorte bei gleichzeitiger Zentralisierung des Managements zur Versorgung in der Fläche beitragen. Darüber hinaus bieten sie jungen Ärztinnen und Ärzten das gewünschte Arbeitsumfeld in Anstellung und ohne unternehmerisches Risiko.
Was diesen neuen Organisationsformen jedoch fehle, so Hahn, sei ein reformfreudigeres Umfeld in Form von Unterstützern in allen Bereichen des Gesundheitswesens und mehr Rückendeckung durch den Gesetzgeber. Denn letztendlich – das unterstrichen auch die Kassenvertreter Boris von Maydell, Leiter der Abteilung Ambulante Versorgung beim vdek, und Susanne Hertzer, Leiterin der Landesvertretung Berlin/Brandenburg der Techniker Krankenkasse, habe aus Patientensicht jedes Angebot seine Berechtigung, das bessere Versorgung biete bzw. Versorgungslücken schließe. Insofern liegt die Lösung offenbar in der Vielfalt der Angebotsstrukturen. In diesem Zusammenhang lobte Dr. Albrecht Kloepfer, Büro für gesundheitspolitische Kommunikation, die Politik. Sie sei mit dem GKV-VSG wichtige Schritte gegangen, um eine weitere Einrichtungsvielfalt zu ermöglichen, indem beispielsweise zukünftig auch fachgruppengleiche MVZ und ambulante Einrichtungen in kommunaler Trägerschaft zugelassen werden. Weitere Maßnahmen wie etwa ein eigener Leistungserbringerstatus für Arztnetze oder MVZ werden derzeit diskutiert, berichtete Prof. Dr. Edgar Franke, Vorsitzender des Gesundheitsausschusses des Bundestags.
Neue Vergütungssystematik als Schlüssel für eine bessere Versorgung?
Dr. Andreas Köhler räumte ein, dass aus seiner Sicht ein Beitrag zur Sicherstellung auch darin bestünde, sich auf die tatsächlich kranken Patienten zu konzentrieren. Das impliziert ein radikales Überdenken der Vergütungsstrukturen, denn durch die quartalsweise Abrechnung werden deutliche Fehlanreize für die ambulanten Leistungserbringer gesetzt. In diesem Zusammenhang bedauerte er auch den Wegfall der Praxisgebühr, die die Funktion eines Korrektivs auf Patientenseite übernommen hatte.
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