Digital Health bringt Kulturwandel im Gesundheitswesen

Am 9. Juni 2015 fand die BMC-Fachtagung „Vernetzte Versorgung: Welche Lücken kann Digital Health wirklich schließen?“ in der Konrad-Adenauer-Stiftung Akademie in Berlin statt.

fachtagung

Voraussetzung für die Schließung der Lücken im Gesundheitswesen, ist die Zulassung von Innovationen im System

„Stellen Sie sich Versorgung vor, wie sie in der Theorie sein müsste. Wenn man von dieser Soll-Versorgung die Ist-Versorgung abzieht: Welche Lücken bleiben? Und wie viele dieser Lücken können mithilfe von Technologien geschlossen werden?“ Mit diesen Worten führte Prof. Dr. Volker Amelung in das Thema der BMC-Fachtagung ein, die mit rund 190 Teilnehmerinnen und Teilnehmern große Resonanz in den gesundheitspolitischen Fachkreisen gefunden hatte. Im Mittelpunkt der Veranstaltung stand die Frage, ob und inwieweit aus neuen digitalen Angeboten tatsächlich ein Mehrwert für die Versorgung der Patientinnen und Patienten entsteht und wie sich diese „neue Welt“ mit den Strukturen des GKV-Systems vereinbaren lässt. Professor Amelung machte bei seiner Einführung deutlich, dass mehr Innovationen ins System kommen müssen. Bei Innovationen sei es grundsätzlich so, dass sich diese in funktionierenden Märkten von allein durchsetzen können. Im deutschen Gesundheitssystem gebe es jedoch zu viele Pfadabhängigkeiten. Amelung wies in diesem Zusammenhang auch auf den Innovationsfonds hin, von dem das Thema Digital Health aus seiner Sicht extrem profitieren könne.

Israel schließt Versorgungslücken mithilfe von Big Data

Einen Einblick ins israelische Gesundheitssystem gewährte Dr. Maya Leventer-Roberts, Director Translational Policy beim Clalit Research Institute. Sie berichtete, dass die digitale Transformation auch für die Versorgungsforschung einen Gewinn darstellt. Dr. Leventer-Roberts zeigte in ihrem Beitrag, wie Israel bereits heute Versorgungslücken mithilfe von Big Data überwindet. Wenn es um die Nutzung von Routinedaten geht, nimmt das israelische Gesundheitssystem im internationalen Vergleich eine Vorreiterrolle ein. Die Daten fließen dort unmittelbar in die Versorgungsforschung, anschließend werden aus den Ergebnissen gesundheitspolitische Maßnahmen abgeleitet. So entsteht ein kontinuierlicher Verbesserungsprozess für das System.

Medscape Deutschland hat ein Interview mit Dr. Leventer-Roberts über das Thema digitale Gesundheit durchgeführt. Das Interview finden Sie hier: http://bit.ly/1emXwHJ

Digital Health stellt Kulturwandel im Gesundheitswesen dar

Prof. Dr. Andréa Belliger, Leiterin des Studiengangs eHealth an der Pädagogischen Hochschule Luzern und Autorin von „Gesundheit 2.0: Das ePatienten-Handbuch“ begann ihren eindrucksvollen Vortrag mit dem Erfahrungsbericht ihres US-amerikanischen Kollegen Dave de Brankart, der vor einigen Jahren die Diagnose Nierenkrebs im vierten Stadium bekam. Er recherchierte daraufhin sofort im Internet über seine Krankheit. Die Informationen, die er dort erhielt, retteten ihm letztendlich das Leben. Mittlerweile ist er einer der bekanntesten Aktivisten der ePatient-Bewegung in den USA. (Lernen Sie Dave de Bronkart kennen: http://bit.ly/1M4vddE)

Professorin Belliger machte deutlich, dass es bei dieser Bewegung nicht nur um Digitalisierung und IT geht. Digital bzw. Connected Health stellt vielmehr einen Kulturwandel im Gesundheitswesen dar. Bei dieser Bewegung entstehe ein grundlegender Paradigmenwechsel: weg von hierarchischen Systemen hin zu selbstorganisierten, offenen Netzwerken. Die Normen Konnektivität, Flow, Kommunikation, Transparenz und Partizipation seien dabei die wichtigsten Faktoren.

Was bringt Digital Health für Patienten?

So zeigen Studien, dass Kommunikation ein wesentlicher Faktor für Patientenzufriedenheit sei und Zufriedenheit ist wiederum ein maßgeblicher Faktor für den Health Outcome. Professorin Belliger kritisierte, dass diese Erkenntnis noch nicht in Europa angekommen sei. Zudem sei mehr Transparenz notwendig, da Patienten die volle Kontrolle über ihre Gesundheitsdaten haben wollen. Um Kooperation und Kommunikation zu optimieren, müssen dabei vor allem die Schnittstellen zwischen den Leistungserbringern geöffnet werden. Durch eine stärkere Partizipation der Patienten sehen sich diese außerdem weniger als passive Empfänger von Gesundheitsleistungen, sondern eher als aktive und gleichberechtigte Kommunikationspartner.

„Was bringt Digital Health also für den Patienten?“ – Die Ausgangsfrage ihres Beitrags beantwortete Professorin Belliger am Ende so: „Digital Health bringt bessere Kommunikation, Transparenz und die Möglichkeit zur Partizipation.“

Medizinstudenten lernen nichts über das Thema eHealth

In der folgenden Diskussion unterstrich Prof. Dr. Peter Schwarz vom Universitätsklinikum Dresden, die Forderung von Belliger nach mehr Kooperation und Kommunikation sowohl zwischen Arzt und Patient, aber auch zwischen den unterschiedlichen Leistungserbringern. Insbesondere bei komplexen und chronischen Krankheiten wie Diabetes könne nur so eine hochwertige und effiziente Versorgung sichergestellt werden. Thomas Ballast, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, gab dagegen zu Bedenken, dass nicht jeder Online-Trend einen Versorgungsnutzen bringe und die Kostenträger in Bezug auf die Mittelverwendung eine hohe Verantwortung gegenüber ihren Versicherten trügen. Mit dieser Haltung, die sie als „Gemütlichkeit“ bezeichnete, war Professorin Belliger jedoch nicht einverstanden. Die Bedürfnisse der Patienten haben sich bereits geändert – darauf müssen die Akteure nun zeitnah reagieren.

Die Hoffnungen, die viele eHealth-Befürworter in die nächste Medizinergenerationen setzen, wurden jedoch von Pascal Nohl-Deryk, Policy Making Officer der European Medical Students´Association, gedämpft. Seiner Erfahrung nach wüssten viele Medizinstudierende gar nicht, was Telemedizin überhaupt sei. Nohl-Deryk forderte, dass das veraltete medizinische Curriculum dringend überarbeitet werden müsse. Die zukünftigen Ärzte seien schließlich wichtige Akteure bei der Umsetzung von neuen Technologien im Gesundheitswesen.