Hintergrundgespräch mit Prof. Dr. Reinhard Busse, „Gesundheitsreformen im internationalen Vergleich: Gleiche Herausforderungen = gleiche Lösungen?“

Der BMC lud am 5. April 2016 zu einem Hintergrundgespräch zum Thema „Gesundheitsreformen im internationalen Vergleich: Gleiche Herausforderungen = gleiche Lösungen?“ ein.

Nach einer kurzen Einführung übergab Moderator Thomas Ballast, stellvertretender Vorstandsvorsitzender der Techniker Krankenkasse, das Wort an Professor Reinhard Busse, Inhaber des Lehrstuhls für Management im Gesundheitswesen an der TU Berlin. Laut Professor Busse, zu dessen Forschungsschwerpunkten die Gesundheitssystemforschung im europäischen Vergleich gehört, sind die Gesundheitssysteme gar nicht so unterschiedlich, wie allgemein angenommen wird. Innerhalb der EU gebe es gesundheitspolitisch durchaus gemeinsame Werte und Ziele, jedoch verfolgten die Länder verschiedene Konzepte zu deren Erreichung.

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Im Grunde gebe es einen sehr homogenen Bausatz von Maßnahmen und Lösungsmöglichkeiten für die Herausforderungen im Gesundheitssystem, so Busse. Es gehe im Prinzip immer um die Determinanten Kosten, Zugang und Qualität. Diese Einflussfaktoren limitieren und bedingen einander und werden von den Ländern in unterschiedlichem Maße angewendet. In Deutschland finde eine Steuerung vorrangig über den Zugang und die Qualität statt und weniger über die Kosten. Die durchschnittliche jährliche Wachstumsrate der Gesundheitsausgaben liege in Deutschland seit Jahren konstant bei zwei Prozent, während sie in allen anderen Ländern in Europa nach der Finanzkrise deutlich gesunken sei. Auch sei die Zahl der Krankenhausfälle pro Jahr mit etwa 20 Millionen Patienten im Vergleich hoch. Der Ruf nach einer Reduzierung der Krankenhausbetten und einer Senkung der Ausgaben werde gleichwohl auch in Deutschland immer lauter.

Besonders bezüglich der Qualität der medizinischen Behandlung besteht laut Professor Busse noch Handlungsbedarf. Im europäischen Vergleich liege Deutschland im Mittelfeld auf Höhe von Tschechien. Etwa jeder tausendste Patient in deutschen Kliniken verstirbt demnach an nosokomialen Infektionen oder durch andere klinikbedingte Ursachen. Die Niederlande seien in dieser Hinsicht deutlich weiter und ein Vorbild für andere Länder, wenn es um die Krankenhaushygiene geht. Dass in den Niederlanden jeder Patient bei Einweisung auf resistente Keime getestet wird, sei allseits bekannt.

Eine Steuerung der Qualität kann über verschiedene Kanäle stattfinden, erläuterte Busse. Zum einen biete sich die Möglichkeit, sich an den strukturellen Voraussetzungen zu orientieren. Krankenhäuser, die beispielsweise keine Fachabteilung für Schlaganfälle besitzen, sollten diese Patienten nicht aufnehmen und abrechnen dürfen, sondern sie an ein geeignetes Krankenhaus weiterleiten. Weiterhin stellte Busse ein Steuerungsmodell aus Großbritannien vor. Dort wurden für spezielle häufige Indikationen Leitlinien entwickelt, nach denen sich die Kliniken in der Behandlung richten sollen. Führen die Kliniken nun alle in den Leitlinien aufgelisteten Prozeduren durch, erhalten sie eine höhere Fallpauschale. Ein anderes Beispiel stellt die Methode dar, einen Teil der Vergütung erst auszuzahlen, wenn der Patient ein bestimmtes Genesungsziel erreicht hat, das den Erfolg der Behandlung zeigt.

Systematisch gingen dabei beispielsweise die Krankenversicherer in den Niederlanden vor, die mittlerweile sehr gezielt nur mit ausgewählten Krankenhäusern Versorgungsverträge abschließen würden. Dadurch erhöht sich zwar die Entfernung zum nächsten Krankenhaus geringfügig, die Qualität der Versorgung steige jedoch. In Deutschland seien solche Zugangsbeschränkungen derzeit jedoch kaum vorstellbar – dafür müssten Krankenkassen bereit sein, Qualitätsverträge nur mit ausgewählten Häusern zu schließen und diese Einschränkung der freien Krankenhauswahl offensiv zu verteidigen.

Einen anderen Weg ist Dänemark gegangen: Dänemark, das ein staatliches, steuerfinanziertes Gesundheitssystem hat, hat in der Vergangenheit systematisch die Anzahl seiner Krankenhäuser von 56 auf 22 reduziert. Da die Krankenhäuser alle in öffentlicher Hand waren, ist dies natürlich leichter umsetzbar als in Deutschland. Politisch war dies aber auch vor allem deswegen durchsetzbar, weil man nicht einzelne Häuser geschlossen und andere erhalten habe. Stattdessen hat man die Vertreter von Kommunen und Regionen gewonnen, indem eine Vielzahl der Krankenhäuser mit zeitgemäßer Gebäudeplanung und IT-Ausstattung neu errichtet wurde.

Dieser Punkt sorgte auch für Gesprächsstoff in der anschließenden Diskussion. Busse konstatierte, dass in Deutschland vielfach die Befürchtung vorherrsche, dass mehr Patienten sterben würden, wenn weniger Betten zur Verfügung stehen. Nach seiner Auffassung sei jedoch das Gegenteil der Fall: Durch eine Verringerung der Bettenanzahl käme es voraussichtlich zu einer Reduzierung der Krankenhausfälle und somit zu einer Reduzierung der absoluten Zahl krankenhausbedingter Todesfälle.

Zum Abschluss wurde noch ein Blick in die Zukunft gewagt: Kann man davon ausgehen, dass eher eine Konvergenz der Systeme stattfindet, oder werden die bestehenden Systeme in ihrer Unterschiedlichkeit weiterhin nebeneinander existieren? Die Mischung der oben bereits erwähnten drei Faktoren Kosten, Zugang und Qualität sei, so Busse, in allen Ländern sehr unterschiedlich ausgeprägt. Allerdings finde eine Negierung des Kostenfaktors in der Form nur in Deutschland statt, während andere Länder eine höhere systemische Kosteneffektivität aufwiesen. Diese Frage müsse in Deutschland zukünftig ebenfalls in den Fokus rücken.

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