Kommunen in der ambulanten Versorgung: Von der Zuschauerbank auf‘s Spielfeld?
„Kommunen als Gesundheitsversorger“ – unter diesem Titel lud der Bundesverband Managed Care (BMC) am 28. April zu seiner zweiten Fachtagung in diesem Jahr.
Bei der von der BMC-Projektgruppe „Ambulante Versorgungsunternehmen“ initiierten und von der Robert Bosch Stiftung als Kooperationspartner begleiteten Fachtagung stand die Frage im Mittelpunkt, welche Rolle die Kommunen künftig bei der Sicherstellung der Versorgung einnehmen können. Unter der Moderation der Projektgruppenleiter Dr. Ursula Hahn, OcuNet, und Dr. Albrecht Kloepfer, Büro für gesundheitspolitische Kommunikation, wurden sowohl die notwendigen rechtlichen und strukturellen Voraussetzungen als auch Aspekte der praktischen Umsetzung intensiv diskutiert.
Kommunen als aktiver Mitspieler in der Versorgung?
Frau Dr. Hahn stellte eingangs dar, dass das GKV-Versorgungsstärkungsgesetz (GKV-VSG) den Kommunen neue Handlungsspielräume eröffnet habe: Waren sie bis dato ausschließlich im stationären Sektor als Betreiber von Kliniken oder mittels Investitionszuschüssen aktiv, können sie zukünftig auch im ambulanten Sektor unmittelbar mitgestalten. Dr. Horst Bitter, Medizinrechtsanwalt der Kanzlei Ehlers, Ehlers & Partner, zeigte daran anknüpfend auf, wo die Potenziale und Fallstricke bei der Gründung von MVZ in kommunaler Trägerschaft liegen.
Thomas Müller, Geschäftsführer der KV Westfalen-Lippe, zeigte sich erfreut, dass sich die Kommunen zukünftig stärker in der ambulanten Versorgung engagieren wollten, betonte jedoch, dass die KVen den Sicherstellungsauftrag innehätten. Er sehe die Kommunen eher in einer subsidiären Rolle. So sollten sie in erster Linie ihren Standort attraktiver gestalten, die Ehepartner bei der Suche nach einem Arbeitsplatz unterstützen und dafür sorgen, dass die Kindergärten verlängerte Öffnungszeiten anböten. Dr. Holger Pressel von der AOK Baden-Württemberg hielt die Frage der Trägerschaft eines MVZs grundsätzlich für irrelevant, jedoch sehe auch er die Aufgabe der Kommunen allenfalls als „Mit-Versorger“. Er sei der Meinung, dass die Kommunen drei Rollen verträten: In erster Linie seien sie Leistungserbringer im stationären Bereich, zudem sollten sie Anreize zur Niederlassung schaffen, indem sie zum Beispiel Praxisräume bereitstellten, und ferner eine Informationsplattform zum Austausch untereinander anbieten.
Bertolt Kuhn, wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Medizinischen Hochschule Hannover, stellte eine Erhebung unter knapp 450 Bürgermeistern und Landräten Niedersachsens vor. Laut seiner Befragung spürten 70 % den Mangel an Ärzten, insbesondere Augen- und Hausärzten. 30 % sahen in der neuen Option zur Gründung kommunaler MVZ ein geeignetes Instrument, während sich 60 % eher skeptisch zeigten. Die stärkere Nutzung von Telemedizin und den Einsatz mobiler Arztpraxen schätzten 60 % der Befragten ebenfalls als ungeeignet ein.
Knackpunkt Haftung
Auch unter den anwesenden Bürgermeistern herrschte Dissens hinsichtlich der Frage, in welchem Maß sich Kommunen engagieren können oder sollen. Einige artikulierten ihr Unbehagen und ihre Verunsicherung, dass ihre Initiative trotz guter Absichten im Dschungel der Vorschriften versackt. In der Diskussion zeigte sich deutlich, dass die Kommunen ihre neuen Möglichkeiten sehr begrüßten, nur nicht bereit seien, tatsächlich die Haftung zu übernehmen. Es gäbe für die Kommunen allerdings keine Sonderregelungen, verdeutlichte Dr. Bitter. Wollten die Kommunen ein MVZ betreiben, so müssten auch sie, wie die Ärzte, in vollem Umfang in Haftung treten.
Ein Beispiel für kommunales Engagement zeigte Günter Wigbers, Bürgermeister der Gemeinde Sögel im Emsland. Seine Gemeinde hat in Zusammenarbeit mit dem Dienstleister patiodoc GmbH eine Sicherstellungspraxis gegründet. Für Dr. Niels Höllger stellte diese Praxis eine gute Gelegenheit dar, um in der ambulanten Versorgung tätig zu sein, ohne sich jedoch um die betriebswirtschaftlichen Aspekte der Praxis kümmern zu müssen – er griff daher zu, als ihm die Anstellung in der Sögeler Praxis angeboten wurde. Auch Dr. Stefanie Schmickler, Geschäftsführerin und Augenärztin eines großen augenärztlichen Zentrums in Niedersachsen/Westfalen, betonte die Kooperationsbereitschaft und verwies auf bestehende Projekte. Wenn Zentren in entlegeneren Regionen Filialen errichten, ist die enge Zusammenarbeit mit Kommunen oft hilfreich.
Integrierte Versorgungsstrukturen als Zukunftsmodelle?
In welche Richtung sich MVZ in der Zukunft weiterentwickeln könnten, stellte Bettina Tef, Projektleiterin bei der Robert Bosch Stiftung, dar: Das Förderprogramm PORT – Patientenorientierte Zentren zur Primär- und Langzeitversorgung der Stiftung zielt darauf ab, lokale Gesundheitszentren zu gründen, die eine patientenzentrierte Versorgung durch multiprofessionelle Teams aus Gesundheits- und Sozialberufen in ländlichen Räumen gewährleisten.
Bis zur flächendeckenden Umsetzung solcher Konzepte ist es jedoch noch ein steiniger Weg, betonte auch der Bundestagsabgeordnete Dr. Roy Kühne (CDU) in der abschließenden Diskussion. Haftungsfragen, Finanzierungslücken und Fachkräftemangel ließen sich nicht von heute auf morgen lösen, seien aber auf der politischen Agenda angekommen. Auch Ko-Tagungsleiter Dr. Kloepfer konzedierte, dass es ein gutes Zeichen sei, dass in jedem der letzten Versorgungsgesetze die Anbietervielfalt in der ambulanten Versorgung gestärkt wurde. Nichtsdestotrotz müsse die Politik noch stärker darauf hinwirken, systematische Vorteile der traditionellen vertragsärztlichen Praxen gegenüber neuen Anbieterstrukturen bei der Zulassung und Vergütung abzubauen. Es mangele nicht an innovativen Ansätzen und Know-how, um den Versorgungsherausforderungen in ländlichen Regionen zu begegnen, betonte auch Dr. Hahn. Vielmehr müsse es darum gehen, den Mangel als Chance für Veränderungen zu begreifen, Hürden in den Köpfen zu verringern und neuen Ansätzen den notwendigen Handlungsspielraum zu geben.
Die BMC-Projektgruppe „Ambulante Versorgungsunternehmen“ widmet sich der Frage, wie strukturelle Herausforderungen der gesundheitlichen Versorgung bewältigt werden können. Dazu zählt angesichts des Strukturwandels in ländlichen Regionen und den sich gleichzeitig verändernden Anforderungen junger Medizinerinnen und Mediziner an ihr Arbeitsumfeld auch die gesundheitliche und pflegerische Versorgung in der Fläche. Ein weiteres wichtiges Themenfeld ist die intersektorale Versorgung von Patienten. Die Arbeitsgruppe identifiziert Lösungsansätze für diese Problematiken und setzt sich dafür ein, dass entsprechende gesetzliche Rahmenbedingungen geschaffen werden. Der Arbeitsfokus liegt dabei auf den Potenzialen ambulanter Versorgungsunternehmen wie z. B. Medizinischen Versorgungszentren und überörtlichen Berufsausübungsgemeinschaften oder Arztnetzen.
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