Konterkariert das Vergaberecht den Innovationsfonds?

Im BMC-Hintergrundgespräch mit den Rechtsanwälten Dr. Dominique Jaeger und Jan C. Eggers wurden Lösungswege diskutiert

Zwei parallele Entwicklungen führen dazu, dass vergaberechtliche Fragen bei den Akteuren des Gesundheitswesens verstärkt in den Fokus rücken: Einerseits ergeben sich durch die aktuelle Vergaberechtsreform einige Änderungen im Bereich der sogenannten sozialen Dienstleistungen, unter die auch Gesundheitsdienstleistungen fallen. Andererseits stellt sich die Frage, wie die Fördermittel des neu geschaffenen Innovationsfonds vergaberechtskonform eingesetzt werden können. In einem Hintergrundgespräch mit der Medizinrechtsanwältin Dr. Dominique Jaeger und dem Experten für Vergaberecht RA Jan C. Eggers erhielten die rund 50 Teilnehmer am 22.03.2016 einen Überblick über die Rechtslage. Anschließend wurden mögliche Lösungswege diskutiert.

Zum Hintergrund: Mit dem Versorgungsstärkungsgesetz wurden für die Entwicklung neuer Versorgungsformen zwei entscheidende Neuerungen eingeführt. So erfuhr zum einen der Bereich der Integrierten Versorgung durch die Neufassung des § 140a SGB V eine deutliche Entbürokratisierung und Erweiterung des Leistungsumfangs. Für Krankenkassen und ihre Vertragspartner entstehen dadurch größere Handlungsspielräume, weil z. B. auch Organisationsleistungen, die zur Verbesserung der Versorgung von Patienten dienen, vereinbart und von den Krankenkassen übernommen werden können. Zum anderen wurde der Innovationsfonds auf den Weg gebracht. Ausgestattet mit 1,2 Mrd. Euro soll er über die nächsten vier Jahre Projekte in den Bereichen Neue Versorgungsformen und Versorgungs­forschung fördern.

Das sind zunächst einmal gute Nachrichten. Gleichwohl könnten vergabe­rechtliche Vorschriften die Intention des Gesetzgebers in erheblichem Maße konterkarieren.

Schwellenwert für Ausschreibungspflicht erhöht sich auf € 750.000,-

Dass Krankenkassen als öffentliche Auftraggeber dem Vergaberecht unterliegen, ist nicht neu. Aufträge, die ein Volumen von € 200.000,- netto übersteigen, mussten auch bisher europaweit ausgeschrieben werden. Allerdings waren bestimmte Dienstleistungen im Gesundheitswesen hiervon weitgehend ausgenommen. Als „soziale Dienstleistungen“ unterliegen diese ab dem 18.04.2016 dem EU-Vergaberecht, allerdings erst oberhalb eines erhöhten Schwellenwerts von € 750.000,-

Wenngleich die weiteren Neuregelungen im Vergaberecht sich nur bedingt auf das Gesundheitswesen auswirken, so erhalten allgemeine vergaberecht­liche Fragestellungen durch die Einführung des Innovationsfonds aber doch eine besondere Aktualität.

§ 140a SGB V als Rechtsgrundlage für Innovationsprojekte

Zwar stellt die Zuweisung von Fördergeldern aus dem Innovationsfonds an sich noch keinen Sachverhalt dar, der dem Vergaberecht unterliegt. Allerdings ist im Versorgungsstärkungsgesetz festgelegt, dass bei der Antragstellung „in der Regel eine Krankenkasse zu beteiligen ist“ und dass die durch den Innovationsfonds geförderten Vorhaben im Bereich der neuen Versorgungs­formen „auf geltender Rechtsgrundlage“ erbracht werden müssen. Mit anderen Worten: Die Mittelvergabe ist an den Abschluss eines Selektiv­vertrags nach § 140a SGB V gekoppelt. Und da bei Selektivverträgen die Krankenkassen als Auftraggeber fungieren, unterliegt die Verwendung der Fördermittel letztendlich doch dem Vergaberecht – zumindest dann, wenn die Krankenkasse diese Leistungen entgeltlich beschafft und eine Auswahl­entscheidung zugunsten eines bestimmten Anbieters trifft. Dies ist in der Regel bei den gesundheitlichen Versorgungsleistungen der Fall. Ob es bei den Management-, Organisations- oder Koordinationsleistungen, die gerade durch den Innovationsfonds finanziert werden sollen, auch so gesehen werden muss, wird vom Einzelfall abhängen und insbesondere auch davon, wie eng diese Leistungen rechtlich mit den Versorgungsleistungen verbunden sind.

Jaeger

Dr. Dominique Jaeger, Fachanwältin für Medizinrecht, Rechtsanwälte M&P Dr. Matzen & Partner mbB

Problematisch ist daran vor allem folgender Umstand: Der Großteil der Anträge an den Innovationsfonds wird nicht von einer einzelnen Krankenkasse kommen, sondern von Zusammenschlüssen mehrerer Partner, die das Vorhaben gemeinsam entwickelt haben. Diese Konsortien können beispiels­weise aus Krankenkasse(n), Ärztenetz(en), IT-Dienstleister(n) und Evaluationspartner(n) bestehen. Sollte das Projekt nun einen positiven Förderbescheid erhalten, wird die Krankenkasse das Vorhaben in der Regel auch mit den entsprechenden Partnern realisieren wollen – und es vielfach auch überhaupt nur mit diesen Partnern realisieren können. Eine Ausschreibung der zu vergebenden Aufträge wäre daher wenig zielführend.

Wie können also befriedigende, rechtssichere Lösungen für dieses Problem aussehen?

Evaluation könnte durch Konsortium beauftragt werden

Zumindest für die Vergabe der Evaluationsaufträge wurden in der Diskussion denkbare Szenarien entwickelt: Vor dem Hintergrund, dass das Konsortium eine GbR darstellt, könnte die Evaluation vom Konsortium und nicht von der Krankenkasse eingekauft werden. Da eine nicht öffentlich beherrschte oder überwiegend öffentlich finanzierte GbR kein öffentlicher Auftraggeber ist, unterliegen die von ihr vergebenen Aufträge auch nicht dem Vergaberecht. Zudem wird die Evaluation – losgelöst vom Gesamtvorhaben betrachtet – in den wenigsten Fällen den Schwellenwert von € 750.000,- überschreiten, sodass ohnehin keine Ausschreibung erforderlich wäre.

Keine Rechtssicherheit für Vorhaben im Bereich Neue Versorgungsformen

Bei den Versorgungsvorhaben selbst stellt sich die Lage deutlich komplizierter dar. Je nach spezifischem Inhalt des Vorhabens könnte hier ein sogenanntes Open-House-Verfahren infrage kommen. Das Open-House-Verfahren sieht vor, dass kein konkreter Anbieter von der Krankenkasse ausgewählt wird, sondern alle Anbieter, die bestimmte Voraussetzungen erfüllen, zur Erbringung der Leistung berechtigt sind. Ansatzpunkt ist dann die Festlegung der Anforderungen an die zu erbringenden Leistungen. Diese müssten so eng formuliert sein, dass nur wirklich passende Partner sie erfüllen. Schwer einzu­schätzen ist jedoch, ob so eng formulierte Voraussetzungen einer rechtlichen Prüfung standhalten würden.

Eggers

Jan C. Eggers, Rechtsanwalt, Hogan Lovells International

Ein anderer Weg könnte darin liegen, eine sogenannte Ex-ante-Transparenzmitteilung im EU-Amtsblatt zu veröffentlichen. In dieser Bekanntmachung müsste begründet werden, dass und aus welchen sachlichen Gründen ausschließlich die gewählten Vertragspartner für das Vorhaben infrage kommen. Geht hiergegen innerhalb von zehn Tagen kein potenzieller Bieter vor, ist die anschließende Auftragserteilung rechtssicher. Ein erfolgender rechtlicher Angriff wäre jedoch mit dem Risiko behaftet, das gesamte Projekt erheblich zu verzögern oder sogar zu gefährden.

Eine rechtssichere Lösung kann nur der Gesetzgeber schaffen

Als Fazit bleibt: Einen rechtssicheren Weg, um die Ausschreibungspflicht zu umgehen, gibt es nicht. Es bedarf also des Mutes der Krankenkassen und der geschickten Antragsgestaltung, um sich mit einem Antrag am Innovations­fonds zu beteiligen. Die verzwickte vergaberechtliche Situation demotiviert nicht nur die Akteure des Gesundheitswesens, die bereits großes Interesse am Innovationsfonds signalisiert haben. Sie durchkreuzt auch den Willen des Gesetzgebers, der sich durch den Innovationsfonds erhofft, neuen Schwung in die selektivvertragliche Landschaft zu bringen. Besonders ärgerlich ist die aktuelle Rechtsunsicherheit vor dem Hintergrund, dass bisher keine echte Übertragbarkeit der Mittel aus dem Innovationsfonds erreicht wurde.

Schlenker

Moderator: BMC-Vorstandsmitglied Dr. Rolf-Ulrich Schlenker

Eine Lösung für dieses Dilemma kann nur der Gesetz­geber schaffen, indem er bei durch den vom Innovationsfonds geförderten Projekten die vergabe­rechtlichen Vorgaben lockert und etwa eine stark vereinfachte Vergabe zulässt. Ein Selbstgänger ist eine solche Ausnahmeregelung angesichts der geltenden europarechtlichen Vorgaben zwar nicht. Doch lässt die Vergaberichtlinie dem Gesetzgeber bei der Ausgestaltung der Regelungen für die sozialen Dienst­leistungen aber noch einen gewissen Spielraum. Dieser sollte genutzt werden! Jedenfalls wird dieser Schritt aber wohl kaum vor der ersten Förderbekannt­machung zu erwarten sein. Bis dahin gilt es also zu improvisieren …

 

Präsentation von Dr. Dominique Jaeger zum Download:

Dr. Dominique Jaeger: Das neue Vergaberecht und die besondere Versorgung nach § 140a SGB V
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Präsentation von Jan C. Eggers zum Download:

Jan C. Eggers: Das neue Vergaberecht und die besondere Versorgung nach § 140a SGB V
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Veranstaltungsbericht zum Download:

Bericht zum Hintergrundgespräch „Konterkariert das Vergaberecht den Innovationsfonds?“
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