Die Stärkung der ambulanten Versorgung im Spannungsfeld von politischer Willensbekundung und praktischer Umsetzung

Ein nicht nur für Kassenärzte, KVen und KBV, sondern das gesamte Gesundheitswesen gleichermaßen wichtiges Thema, diskutierte der BMC mit Dr. Bernhard Rochell, Verwaltungsdirektor der Kassenärztlichen Bundesvereinigung: „Wie stellen sich Vertragsärzte an der Sektorengrenze auf?“ Das durch die BMC-Projektgruppe „Ambulante Versorgungsunternehmen“ initiierte Hintergrundgespräch fand am 29. Februar in Berlin statt.

Auf die Frage der Projektgruppenleiterin Dr. Ursula Hahn, welche Hemmnisse er momentan sehe, entgegnete Dr. Rochell mit eindeutigen Worten: „Sektorenübergreifende Kooperation bedeutet nicht, dass sich stationärer und ambulanter Sektor gegenseitig Zuständigkeiten abringen und so die patientenorientierte Versorgung in den Hintergrund rückt.“ Doch genau diese Vorgänge beobachte er momentan. Aufgrund von gesetzlichen Vorgaben würde den Krankenhäusern eine immer wichtigere Rolle bei der Sicherung der Grundversorgung zugestanden. Für eine flächendeckende, sektorenübergreifende Versorgung sei das aber keine Lösung. Der Ärztemangel in ländlichen Regionen würde gleichermaßen Krankenhäuser wie die vertragsärztliche Versorgung betreffen.

Seine Vorschläge: Eine enge und klar abgesteckte Kooperation zwischen Vertragsärzten und Krankenhäusern, auf Grundlage einer gemeinsamen sektorenübergreifenden Bedarfs- und Krankenhausplanung. Eine monetäre Verzahnung der jeweiligen Leistungsträger sei zudem unabdingbar für ein sektorenübergreifendes Versorgungsystem. Ambulante Leistungen in Krankenhäusern würden schon heute aus dem „KV-Topf“ bezahlt, entsprechend müssten vor-, nach-, teil- und kurzstationäre Leistungen sowie aus dem stationären in den ambulanten Bereich verlagerte Leistungen gleichberechtigt durch Vertragsärzte erbracht und aus Mitteln des „Krankenhaustopfes“ bezahlt werden können. Auch sei es wichtig, dass die Krankenhäuser nur für die Patienten die Notfallversorgung zu Lasten des EBM übernehmen, wenn die Versorgung durch einen Vertragsarzt nicht möglich bzw. aufgrund der Umstände nicht vertretbar sei.

Versorgungslösungen wie Belegärzte und Praxiskliniken, die eine Verzahnung von ambulant und stationär bereits umsetzen, aber auch neuere Ansätze wie Ambulante Spezialärztliche Versorgung (ASV) sähen sich zahlreichen Hürden gegenüber. Als Beispiel führte er die Finanzierungsproblematik der Haftpflichtversicherung in der gynäkologischen belegärztlichen Versorgung auf. Die Arbeit der Belegärzte sei jedoch besonders für ländliche Regionen und kleinere Krankenhäuser unverzichtbar, um eine kostengünstige, wohnortnahe und patientenorientierte Versorgung zu gewährleisten. Auch sei es nicht hinnehmbar, dass die Erbringung von stationären Leistungen in Praxiskliniken keine gleichberechtigte Abrechnung erfahre.

Die Chancen auf eine Bereinigung der Krankenhauslandschaft sieht er kritisch: In der Region würde vor allem die Bedeutung von Krankenhäusern als regionaler Wirtschaftsfaktor gesehen. Politik und Krankenkassen würden daher zu selten die Notwendigkeit einzelner Häuser auf Basis finanzieller und qualitativer Parameter ernsthaft überprüfen. Entscheidend sei, Probleme nicht zu ignorieren, sondern mit allen Beteiligten Alternativen auszuloten. Denkbar wäre die Umwandlung von unwirtschaftlichen Kliniken je nach Bedarf in ambulante Gesundheitszentren, Pflege- oder Flüchtlingsheime. Aber auch die Vertragsärzte müssen zukunftsorientiert denken und handeln. Es sei eine Herausforderung für Vertragsärzte, das medizinische Angebot der Bedürfnislage von Patienten anzupassen. Beispielsweise gäbe es nach wie vor die Wahrnehmung, dass kleinere medizinische Einheiten nicht ausreichend verfügbar seien, daher würden sich Patienten direkt an Krankenhäuser wenden. Eine stärkere Vernetzung, größere Berufsausübungsgemeinschaften und Medizinische Versorgungszentren auch als Eigeneinrichtungen der Kassenärztlichen Vereinigungen könnten hier Abhilfe schaffen.

Rochell resümiert, dass nahezu alle Bereiche, in denen Vertragsärzte traditionell an der Sektorengrenze tätig sind, vor dem Hintergrund der kürzlichen Krankenhausgesetzgebung politisch stagnieren. Hier müsse kurzfristig wieder mehr nach dem Motto „ambulant vor stationär“ verfahren werden und die vertragsärztlichen Mitwirkung an der sektorenübergreifenden Versorgung gestärkt werden, statt den Krankenhäusern in diesem Bereich weiter systematische Wettbewerbsvorteile zu gewähren. Nur so könne dauerhaft eine flächendeckend hohe Versorgungsqualität, insbesondere für multimorbide und ältere Patienten, gesichert und finanziert werden. Für eine praktische Umsetzung bedürfe es aber nicht nur entsprechender Regelungen auf Gesetzesebene, sondern insbesondere einer stärkeren Kooperation auf regionaler Ebene.